Nicole Haiderer | 4. Juni 2025
#Konsumentenpsychologie #Werbeverbot
Werbeverbot für fossile Brennstoffe:
eine psychologische Einordnung
Am 19. März 2025 hat der Zürcher Gemeinderat mit knapper Mehrheit beschlossen, Werbung auf öffentlichem Grund schrittweise zu verbieten. In einer Zeit, in der der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität zu den drängendsten Herausforderungen unserer Gesellschaft gehören, gewinnt die Diskussion über ein Werbeverbot für fossile Brennstoffe zunehmend an Bedeutung. Ein solches Verbot zielt darauf ab, die Präsenz von Werbung im öffentlichen Raum zu beschränken oder zu verbieten, die Produkte oder Dienstleistungen bewirbt, die auf fossilen Energieträgern basieren. Dazu gehören Autos mit Verbrennungsmotoren, Flugreisen und Kreuzfahrten. Der Hauptzweck eines solchen Verbots ist es, die Normalisierung klimaschädlicher Verhaltensweisen zu durchbrechen und den gesellschaftlichen Wandel hin zu nachhaltigeren Lebensstilen zu fördern.
Die psychologische Wirkung von Werbung auf unser Konsumverhalten
Werbung hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unser Konsumverhalten und unsere Wahrnehmung. Sie prägt nicht nur, was wir kaufen, sondern auch, wie wir über bestimmte Produkte und Dienstleistungen denken. Studien zeigen, dass Werbung für klimaschädliche Produkte die Wahrnehmung ihrer Schädlichkeit mindern kann (Stubenvoll & Neureiter, 2021). Dies führt dazu, dass Menschen die Verantwortung für die negativen Auswirkungen dieser Produkte auf das Klima eher auf andere abwälzen.
Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist die Bedürfnisweckung, auch «Need Creation» oder «Demand Creation» genannt. Darunter versteht man gezielte Werbung und Marketingmassnahmen, welche bei Konsumierendenden Wunsch nach einem Produkt wecken, das sie zuvor weder als notwendig noch als begehrenswert wahrgenommen haben. Die Strategie adressiert dabei bestehende Motive wie Status, Komfort und Zugehörigkeit und erweist sich besonders dann als wirksam, wenn es gilt, neue Märkte zu erschliessen oder bestehende zu erweitern, indem sie Konsument*innen dazu bewegt, Produkte zu kaufen, die sie eigentlich nicht benötigen.
Die psychologische Wirkung von Werbung ist vielschichtig. Sie beeinflusst nicht nur das Kaufverhalten, sondern auch tiefere psychologische Prozesse wie die Bildung von Normen und Werten. Durch die ständige Präsenz von Werbung für klimaschädliche Produkte im öffentlichen Raum werden diese Produkte und die damit verbundenen Lebensstile als gesellschaftlich akzeptiert und normal wahrgenommen. Dies kann dazu führen, dass wir unser Verhalten dementsprechend anpassen, da uns suggeriert wird, dass es okay ist, dieses klimaschädliche Verhalten zu zeigen.
Die Vorteile eines Werbeverbots
Ein Verbot fossiler Werbung kann auf mehreren Ebenen Wirkung entfalten:
- Entnormalisierung klimaschädlicher Verhaltensweisen: Wenn Plakatwände und digitale Leinwände nicht mehr unreflektiert Flugreisen oder SUVs bewerben, wird ihre Alltäglichkeit aufgehoben.
- Reduzierung der emotionellen Einflussnahme: Werbung zielt darauf ab, Bedürfnisse zu wecken, die zuvor nicht bewusst waren. Ein Werbeverbot verhindert, dass CO₂-intensive Produkte als erstrebenswerte Lifestyle-Option inszeniert werden (Bouman et al. 2025).
- Eindämmung von Greenwashing: Ohne Möglichkeit, fossile Produkte grün zu verpacken, werden Verbraucher weniger in die Irre geführt und können informiertere Entscheidungen treffen.
- Langfristige Klimawirkung: Trotz indirekter Messbarkeit schwächt ein solches Verbot die gesellschaftliche Nachfrage nach fossilen Brennstoffen und kann mittelfristig Emissionen senken – ähnlich wie die Tabakwerbeverbote in der EU seit 2003 zu einem Rückgang des Tabakkonsums geführt haben (Saffer & Chaloupka 2000; Quentin et al. 2007).
Werbeverbote – bewährt und im Dienst von Mensch und Umwelt
Ein oft genanntes Beispiel für die Wirksamkeit von Werbeverboten ist die Tabakindustrie. Seit 2003 ist in der gesamten EU öffentliche Werbung für Tabakprodukte verboten. Studien haben gezeigt, dass solche Verbote den Tabakkonsum verringern können (Saffer & Chaloupka, 2000; Quentin et al., 2007). Ähnlich wie bei der Tabakwerbung könnte ein Verbot fossiler Werbung dazu beitragen, klimaschädliche Lebensstile infrage zu stellen und neue, nachhaltigere Normen zu etablieren. Die Parallelen liegen in der Normalisierung gesundheits- und umweltschädlicher Verhaltensweisen und der Notwendigkeit, diese durch gesetzliche Massnahmen zu ändern.
Internationale Entwicklungen und Forderungen
Auf internationaler Ebene gibt es zunehmend Forderungen nach einem Verbot fossiler Werbung. UN-Generalsekretär António Guterres hat sich deutlich gegen fossile Werbung ausgesprochen und Länder sowie Medien- und Technologieunternehmen aufgefordert, keine solche Werbung mehr anzunehmen. Und erste Städte sprechen sich gegen fossile Werbung aus. In den Niederlanden hat die Stadt Den Haag einen rechtlichen Rahmen gegen klimaschädliche Werbung gesetzt. Solche Entwicklungen zeigen, dass das Thema Werbeverbote für fossile Brennstoffe zunehmend an Bedeutung gewinnt und sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene an Wichtigkeit gewinnt.
Persönliche Meinung
Als Umweltpsychologin verfolge ich die Entwicklungen rund um das Werbeverbot mit grossem Interesse. Werbung steuert Informationsumwelten und psychologische Prozesse wie Normbildung, kognitive Dissonanz und Verhaltensmobilisierung. Wenn Du dir aktuell eine Meinung bildest, dann möchte ich gerne ich mit Dir diese zwei Überlegungen teilen:
- Werbung dient als psychologischer Verstärker: Werbung wirkt nicht nur instrumentell (Kaufimpuls), sondern konstituiert soziale Normen. Unternehmen, die ein Produkt verkaufen wollen, nutzen gezielt Werbebotschaften, um bestimmte Verhaltensweisen als erstrebenswert darzustellen. Das ständige Werben für SUVs, Billigflüge oder Kreuzfahrten suggeriert, dass diese Lebensstile «normal» und gesellschaftlich akzeptiert sind – obwohl diese Bedürfnisse oftmals erst durch die Werbung erzeugt werden. Ein Verbot fossiler Werbung schafft hier klare Leitplanken, um diese impliziten Normen, die von wirtschaftlichen Interessen gesteuert werden, einzuschränken und zu hinterfragen.
- Systemischer und individueller Hebel: Es ist wichtig zu verstehen, dass individuelles Umweltverhalten nicht losgelöst von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen funktioniert. Klassische Ansätze, die nur auf Information und Moral appellieren, versagen oft. Ein Werbeverbot stellt einen systemischen Eingriff dar, der auf Makro- wie auf Mikroebene Wirkung entfaltet: Es erschwert die Einflussnahme von fossilen Unternehmen auf dein Verhalten und gibt dem Individuum mehr Freiraum abseits von dauerhaften Kaufaufforderungen.

Quellenangaben
- Klimafakten. (2025, 20. Mai). Es ist nicht OK, von Werbung zu profitieren, welche die planetare Gesundheit ruiniert. Klimafakten.
- Stubenvoll, M., & Neureiter, M. (2021). Studie zur Wirkung von Werbung auf das Konsumverhalten. Journal of Environmental Psychology.
- Bouman, T., et al. (2025). Fossile Werbung und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Normen. Nature Climate Change.
- Saffer, H., & Chaloupka, F. (2000). The Effect of Tobacco Advertising Bans on Tobacco Consumption. Journal of Health Economics.
- Quentin, W., et al. (2007). The Impact of Tobacco Advertising Bans: A Comparative Study. European Journal of Public Health.